Teil 1: Wie Open Source Software Kontroll- und Gestaltungsfähigkeit für Deutschland und Europa sichert
Was ist Digitale Souveränität? Wieso ist sie so wichtig? Welche Rolle spielt Open Source Software (OSS) für die Entwicklung einer innereuropäischen Lösung und welchen Beitrag leistet Univention? Mit genau diesen Fragen befasst sich unsere Werkstudentin Ann-Kathrin im ersten Teil dieser Blog-Reihe zur Digitalen Souveränität.
Inhaltsverzeichnis
Digitale Souveränität in unserem Alltag
Digitale Souveränität. Zwei Worte, die im Hochschulkosmos kaum bis nicht existent sind. Eine Diskussion über die Möglichkeiten zur selbstbestimmten Nutzung und Gestaltung von IT in der Hochschule? Fehlanzeige. Studienrelevante Informationen werden auf WhatsApp geteilt, Präsentationen mit PowerPoint erstellt, Hausarbeiten mit Word und Citavi geschrieben und in Zeiten der Online-Lehre wird auf Zoom gesetzt. Wer versucht, seine Referatsgruppe von quelloffener Präsentationssoftware zu überzeugen, eine*n Professor*in die Vorteile von LaTex schmackhaft machen will oder anstößt, statt Whatsapp lieber Rocket.Chat zu verwenden, muss gute Argumente, Nerven und viel Zeit mitbringen. Denn durch den vertrauten Umgang mit proprietärer Software und die oft schon in der Schule eingetretenen Lock-in-Effekte, sind nur wenige Studenten*innen gewillt, sich ernsthaft mit Open-Source-Alternativen zu beschäftigen.
Das ist wenig verwunderlich, aber dennoch alarmierend. Denn die Relevanz Digitaler Souveränität und Chancen von OSS für Hochschulen, Schulen, Verwaltung, Unternehmen und anderen Akteuren in ganz Deutschland und Europa sind noch immer Nischenthemen, die selten Bürger*innen fernab des ohnehin interessierten IT-Fachpublikums erreichen. Diese Blog-Reihe betrachte ich als Chance, den Status quo – zumindest in meinem persönlichen Umfeld – zu verändern. Ich möchte mein Verständnis von Digitaler Souveränität schärfen und in die Tiefen der Thematik vordringen. Doch aller Anfang ist schwierig. Deshalb möchte ich, bevor ich die Potenziale von OSS beleuchte, einen Schritt zurückgehen und die folgenden Fragen beantworten: Was bedeutet digitale Souveränität eigentlich? Und wieso ist der Begriff heute in Sachen Digitalisierung allgegenwärtig?
Digitale Souveränität – wieso, weshalb, warum
Digitale Souveränität meint nicht nur die Souveränität von Daten, sondern eine Vielzahl von Dimensionen, die die strategische Autonomie der IT her- und sicherstellen sollen. Zu diesen Dimensionen gehören sowohl die Wissens-, Forschungs-, Entwicklungs- und Produktionssouveränität als auch die Betriebs-, Nutzungs- und Transparenzsouveränität. Daraus gehen hohe “(…) Anforderungen an die Entscheidungs- und Handlungsfreiheit strategischer Autonomie im Digitalen” hervor (Kar & Thapa 2020: 14).
Für Herrn Prof. Dr.-Ing. Boris Otto ist Digitale Souveränität eine Schlüsselfähigkeit „einer natürlichen oder juristischen Person zur ausschließlichen Selbstbestimmung hinsichtlich des Wirtschaftsguts Daten“ (Otto 2016: 5). Damit bezieht er sich auf die Datensouveränität, die einen Teil der Digitalen Souveränität abbildet. Kar und Thapa (2020) beziehen sich in ihrer Publikation auf die Strategische Autonomie im Digitalen, die über die Datensouveränität hinaus, „die Fähigkeiten des Staates, eigene politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Prioritäten umsetzen zu können, ohne dabei in unerwünschten Maße durch Abhängigkeiten in der Digitalisierung eingeschränkt zu werden, [umfasst]“ (2020: 10). Goldacker (2017: 7) unterscheidet zwischen Digitaler Souveränität für individuelle und institutionelle IT-Nutzer*innen, von IT-Produzenten und -Dienstleistern sowie gesamtgesellschaftlich. Für sie ergeben sich unterschiedliche Schwerpunkte, die die Einigung auf eine allgemeingültige Definition erschweren.
Sucht man nach Gemeinsamkeiten in den Definitionen wird deutlich: Im Mittelpunkt stehen politische, wirtschaftliche und individuelle Abhängigkeiten, die aufgelöst und durch Kontroll-, Gestaltungs- und Anpassungsfähigkeit ersetzt werden wollen. Lösen wir uns nicht von der Dominanz einiger weniger großer IT-Konzerne und beharren auf diesem Fähigkeiten-Trio, entfernen wir uns weiter von einer Demokratisierung der IT-Infrastrukturen mit echter Kontroll- und Gestaltungsmöglichkeit.
Bildquelle: Claude AI
Open Source als Schlüssel zur digitalen Souveränität
Welche entscheidende Rolle Open-Source-Lösungen für die Reduzierung von Abhängigkeiten von sog. Hyperscalern spielen, zeigt die 2019 veröffentlichte PwC-Marktanalyse. Anbieter wie Microsoft „[…] scheinen ihre Angebotsmacht zu ihrem Vorteil zu nutzen und Anforderungen ihrer Kunden, z. B. Das erhöhte Bedürfnis nach Informationssicherheit im öffentlichen Sektor, nicht bzw. nur unzureichend zu adressieren“, Umso wichtiger ist es, proprietäre Software durch Open Source-Alternativen zu ersetzen. Denn Open Source Software ist nicht nur hinsichtlich der Leistungsfähigkeit vergleichbar mit proprietärer Software, sondern punktet auch mit weiteren Vorteilen: Verschiedene Dienstleister für Cloud-Services, die Möglichkeit des Umzugs der eigenen Daten von einem zum anderen Dienstleister sowie die Verfügbarkeit von Cloud-Services als Software, die auch im eigenen Rechenzentrum betrieben werden kann.
Offener Quellcode hält Backdoors geschlossen oder bietet zumindest die Möglichkeit ihrer Entdeckung und bietet so die notwendige Transparenz für vertrauenswürdige Cloud-Services. Rafael Laguna de la Vera, Direktor der Bundesagentur für Sprunginnovationen ist sich sicher: OSS stellt die Wachstumschance für Deutschland als IKT-Standort dar (vgl. Laguna de la Vera 2020). Bei Univention setzen wir uns daher für eine Welt ein, in der Menschen und Organisationen mit Hilfe von Open-Source-Lösungen IT selbstbestimmt nutzen und gestalten können. Mit unseren Produkten UCS und UCS@school tragen wir aktiv dazu bei, Alternativen zu den Angeboten von Hyperscalern zu schaffen. Wer sich einen Überblick verschaffen möchte, kann die UCS Core Edition kostenfrei herunterladen und natürlich auch deren Quellcode einsehen.
Mit Open Source Software wie UCS und UCS@school kann eine digital souveräne Digitalisierung gelingen. Die Verwendung von Open Source Software birgt enorme wirtschaftliche Vorteile. Doch sich von alten Abhängigkeiten zu trennen, ist in Anbetracht der Marktmacht der Hyperscaler keine einfache Aufgabe. Wenn wir aber selbst über unsere Datenverwendung bestimmen, ihren Gebrauch transparent einsehen und Gestaltungsspielraum bewahren möchten, geht kein Weg an Digitaler Souveränität und Open Source vorbei. „Einseitige Abhängigkeiten dürfen wir uns hier, genauso wenig wie beim Erdgas oder Erdöl, nicht mehr erlauben.“, findet Univention-CEO Peter Ganten und schlussfolgert: „Deshalb brauchen wir auch eine Digitale Zeitenwende“ (Tagesspiegel Background | Keynote Univention Summit 2022).
Wege in eine demokratische(re) IT
Um diese Abhängigkeiten aufzulösen und eine nachhaltige Digitalpolitik zu schaffen, müssen wir gleichzeitig an verschiedenen Stellschrauben drehen. Welche das sein könnten, zeigt das Manifest für Digitale Souveränität. Dieses Manifest ist beim Digitalgipfel der Bundesregierung aus der Fokusgruppe „Digitale Souveränität“ im Think Tank, einem unabhängigen Gremium unter dem Dach der OSB Alliance, hervorgegangen. Die darin enthaltene Auflistung der drei wichtigsten Punkte für die Stärkung Digitaler Souveränität ist mir besonders im Gedächtnis geblieben. Denn sie verdeutlicht die Komplexität der Thematik in einer willkommenen Einfachheit, ohne relevante Handlungsoptionen auszulassen. Sie legt prägnant dar, was es braucht, um eine zukunftsorientierte und nachhaltige Digitalpolitik auszubilden und Deutschlands und Europas digitale Position in der Welt zu stärken.
Handlungsoptionen laut des Think Tanks der OSB Alliance:
- Es braucht bessere Bildungsbedingungen für eine Erhöhung der digitalen Allgemeinbildung.
Es müssen Möglichkeiten geschaffen und ausgebaut werden, digitale Kompetenzen zu erwerben und lebenslang weiter zu entwickeln, die für eine aufgeklärte Nutzung und Gestaltung von digitalen Technologien und dadurch zur Teilnahme am gesamten gesellschaftlichen Leben erforderlich sind. - Innovation und Wettbewerb müssen zugunsten einer höheren Dynamik gefördert werden.
Die Innovationsfähigkeit unseres Landes kann nachhaltig gestärkt werden, wenn Software und Daten von Forschenden und Unternehmen sowie dem Staat gleichermaßen genutzt werden können. - Ein digital souveräner Staat als Rahmen für vitale digitale Ökosysteme.
Wir brauchen einen vitalen Marktort Europa, der seine globale Stärke nutzt, um technologische Weltstandards und Prinzipien wie Offenheit, Föderierbarkeit und Möglichkeit zur erlaubnisfreien Teilhabe durchzusetzen und damit unser freiheitliches Wertesystem zu verankern.
Nach meiner ausgiebigen Auseinandersetzung mit dem Thema für diesen Blog-Artikel und die weiteren Artikel der Reihe kann ich für mich persönlich festhalten: Ohne Digitale Souveränität geht es nicht. Während ich noch vor ein paar Monaten nur oberflächlich mit der Materie vertraut war, kann ich nun sagen, die grundlegenden Vorzüge von OSS für den digital souveränen Wandel zu kennen. Mir ist bewusst geworden, wie wichtig es für eine demokratische IT ist, digitalpolitische Entscheidungen im Sinne der Digitalen Souveränität zu treffen. Dafür eignet sich Open Source ganz besonders.
Ich möchte auch weiterhin der Digitalen Souveränität auf den Grund gehen und mich im zweiten Artikel der Blog-Reihe auf wichtige Akteure wie Politik, Wirtschaft, Zivilgesellschaft und die Open-Source-Community konzentrieren. Denn sie sind gefragt, wenn es um die digitalpolitische Zukunft Deutschlands und Europas geht.