Digitale Souveränität: Artikelreihe

Teil 2: Wichtigste Treiber des digital-souveränen Aufbruchs
in Deutschland und Europa

Vor einigen Wochen widmete sich unsere Werkstudentin Ann-Kathrin in der Reihe rund um Digitale Souveränität dem Was & Warum. Wer erfahren möchte, was unter dem mittlerweile fast inflationär verwendeten Begriff verstanden wird und welche Rolle Open Source zur Stärkung der Digitalen Souveränität spielt, kann dies in Teil 1 der Blogreihe nachlesen.

Heute sollen die Akteure im Vordergrund stehen: Wer ist an der Stärkung und Verbreitung Digitaler Souveränität beteiligt – der Staat, seine Bürger*innen, Unternehmen, die Open-Source-Community oder Institutionen? Wer verhindert schwer auflösbare Abhängigkeiten, mit denen Sicherheitsrisiken sowie wachsende wirtschaftliche Herausforderungen einhergehen? Wer sind die Hauptakteure, die die eigentlichen Verbesserungen vornehmen und die digitale Zeitenwende maßgeblich vorantreiben? Darauf möchte ich im zweiten Teil dieser Blogreihe Antworten finden.

Der Staat als Hauptakteur zur Stärkung Digitaler Souveränität

Für einen umfassenden digitalen Aufbruch, mit der die 2020er zu einer digitalen Dekade werden, braucht es langfristiges (finanzielles) Engagement seitens der Bundesregierung, der Wirtschaft und Zivilgesellschaft. In der Ende August veröffentlichten Digitalstrategie formuliert die Bundesregierung den anvisierten digitalen Fortschritt: flächendeckende Glasfaseranschlüsse, digitale Verwaltungsdienstleistungen und Innovationen aus Wirtschaft und Forschung. Die Anerkennung der Digitalisierung als dringliche Querschnittsaufgabe ist wichtig.

Genauso wichtig ist aber, dass die Bundesregierung auch tätig wird, wenn es explizit um die Stärkung Digitaler Souveränität und die Umsetzung konkreter Maßnahmen wie den Aufbau des Souveränen Arbeitsplatzes geht. Schließlich sind es die Staaten selbst, die als Einkäufer von Open Source Software (OSS) zeigen könnten, welchen hohen Stellenwert nachhaltige digitale Unabhängigkeit und Gestaltungsfreiheit für sie einnehmen. Unterstützt der Staat Digitale Souveränität oder sind es viel mehr einzelne engagierte Parlamentarier*innen? Setzt der Staat auf Open Source oder vertraut er ausschließlich auf proprietäre Software aus dem Ausland? Macht er sich erpressbar und gefährdet digitale Sicherheit oder tritt er gegenüber Verbündeten als gleichberechtigter Partner auf?

Diese und weitere Entscheidungen des Staates prägen das Bild von Digitaler Souveränität in der Zivilgesellschaft und die Wahrnehmung von potenziell zahlreichen Anwender*innen. Die Priorisierung und Sichtbarmachung von Open Source durch den Staat ist demnach ausschlaggebend für eine gesamtgesellschaftliche Einordnung und Bewertung von OSS. Deshalb ist es so wichtig, dass der Staat mit seinem großen IT-Budget diese Einkaufsmacht und Möglichkeiten zur Regulierung nutzt, um strategische Ziele wie die Reduktion von Abhängigkeiten, schnellere Digitalisierung, Kompetenz- und Kapazitäten-Aufbau vor Ort zuverlässig zu erreichen.

 

Souveräner Arbeitsplatz: Quelle BMI

Quelle: Bundesministerium des Innern und für Heimat. (30.08.2022). Open CoDE. https://gitlab.opencode.de/bmi/souveraener_arbeitsplatz/info

 

In Deutschland gibt der Bund mit Gesetzen wie dem Onlinezugangsgesetz (OZG) den Rahmen für die Verbesserung der Digitalen Souveränität vor. Als größter Kunde mit enormer Kaufkraft trägt er entscheidend zur nachhaltigen Stärkung der Open-Source-Wirtschaft und der Etablierung eines souveränen IKT-Standortes (Informations- und Kommunikationstechnologie) bei. Das liegt nicht zuletzt an der Vielzahl von Arbeitsplätzen in der öffentlichen Verwaltung, die mit OSS ausgestattet werden können. Mit dem „souveränen Verwaltungsarbeitsplatz“ gibt es bereits ein Projekt, in dem Univention, Dataport und weitere Hersteller aus dem Open-Source-Ökosystem die Software für den Verwaltungsarbeitsplatz der Zukunft entwickeln.

Trotzdem setzen viele Verwaltungen noch immer auf Microsoft und sind damit an regelmäßige Sicherheitsupdates und das Wohlwollen des Konzerns gebunden. Damit sich die Verwaltung nicht langfristig ihrer Gestaltungs- und Innovationschancen beraubt, muss die Bundesregierung ihre in der Digitalstrategie festgehaltenen Absichten noch ernster nehmen und weitere konkrete Schritte gehen. Sonst sieht es für die in Deutschland seit Jahren wenig vorangekommene Digitalisierung nicht sehr rosig aus.

Souveränitätspotenziale für die Open-Source-Wirtschaft

Wie weit Deutschlands Weg zu Digitaler Souveränität noch ist, zeigt eine im Mai 2022 veröffentlichte Studie der Konrad-Adenauer-Stiftung. Die Forscher Maximilian Mayer und Yen-Chi Lu zeigen darin auf, dass die EU in keinem Bereich so abhängig vom außereuropäischen Ausland ist wie in der Digitalwirtschaft. Der von ihnen entwickelte Digital Dependence Index (DDI) gibt Aufschluss über das Verhältnis inländischer Nachfrage und ausländischem Angebot digitaler Technologien.

Die USA, China und Südkorea schneiden am besten ab, sie erreichen einen DDI unter 0,70. Deutschland und andere EU-Länder überschreiten hingegen alle die Schwelle von 0,75, die eine hohe Verwundbarkeit der Digitalwirtschaft kennzeichnet. Die beiden Wissenschaftler schlagen vor, die hohe digitale Vulnerabilität graduell zu senken, um an Autonomie zu gewinnen und eine aktivere Lenkungsrolle zu übernehmen. Aber tun viele Unternehmen das nicht längst?

Sowohl Unternehmen aus dem IT-Bereich, die schon seit Jahren bewährte Produkte und Dienstleistungen anbieten als auch „Branchenfremde“ wissen, was für sie auf dem Spiel steht. Sie wollen sich von proprietären Anbietern lösen, um externe Abhängigkeiten zu verringern. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um einen Pharmakonzern oder die industrielle Fertigung handelt.

Digitale Souveränität betrifft alle Branchen, so auch die Automobilbranche. Der zunehmenden Komplexität begegnet man in vielen Unternehmen bereits mit quelloffener Software. Das fand eine Studie von Kugler Maag Cie heraus, in der führende Automobilhersteller und -zulieferer in qualitativen Interviews zum Einsatz von OSS befragt wurden. Dennoch sind die vielen Vorteile von OSS bisher noch nicht jedem Unternehmen allumfänglich bekannt, resümieren die Autor*innen der Studie.

Identitätsmanagement mit UCS

Identitätsmanagement mit UCS und UCS@school

Neben den sog. Branchenfremden, die Open Source in den letzten Jahren mit der sich beschleunigenden Digitalisierung für sich entdeckt haben, sind es die oben erwähnten Open-Source-Unternehmen, darunter viele Mittelständler, die schon seit Langem offene, digital-souveräne Plattformen und Lösungen (weiter-)entwickeln. Univention stellt mit UCS und UCS@school Produkte bereit, die einen unkomplizierten und quelloffenen IT-Betrieb ermöglichen. Auf unserer Plattform können verschiedene Technologie- und Softwarehersteller ihre Lösungen anbieten, aus der Nutzer*innen selbst wählen können. Noch flexibler wird UCS durch unsere Zusammenarbeit mit Technologie- und Cloudpartnern, die eine bedürfnisorientierte Anpassung erlauben.

Doch nicht nur Univention und andere OSS-Unternehmen treiben den digital-souveränen Wandel voran: Der Wert der Open Source Community für die Stärkung von OSS ist unbezahlbar. Auf der ganzen Welt arbeiten Entwickler selbstständig an der Verbesserung und Verbreitung von OSS. Zusammen bilden sie ein dichtes Netz, das den Wandel trägt und Halt gibt, wenn anderen Akteuren Fachkenntnisse, Orientierung, Hartnäckigkeit oder Entschlossenheit fehlen. Ohne die weltweit agierende Open-Source-Community wäre OSS heute nicht so weit entwickelt wie sie ist.

Warum wir ein europäisches Ökosystem brauchen

„Unabhängig vom Bereich, sei es Cloud, Künstliche Intelligenz, Cybersicherheit oder das sogenannte Internet der Dinge, steht Open Source Software im Zentrum der Innovation, und Europa hat die Chance, hier die Führung zu übernehmen.“, schreibt APELL, der Europäische Verband der Open-Source-Unternehmen im Dezember 2021 in der FAZ. Damit rückt APELL die Relevanz europaweiter Zusammenarbeit für den Gesamterfolg von Digitaler Souveränität in den Vordergrund. In dem Beitrag heißt es weiter, dass OSS auf EU-Ebene das Wirtschaftswachstum ankurbeln, das Entstehen einer erfolgreichen europäischen IT-Industrie erleichtern und Arbeitsplätze schaffen würde. Die Vorteile von Open Source liegen auf der Hand.

Bestätigt wurden diese Potenziale von OSS für die europäische Wirtschaft in einer Ende 2021 veröffentlichten Studie des Fraunhofer-Instituts für System- und Innovationsforschung und des OpenForum Europe im Auftrag der Generaldirektion CNECT der Europäischen Kommission. Sie belegt einen signifikanten Einfluss von Open Source auf die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen, das Wirtschaftswachstum, die Start-up-Szene und technologische Unabhängigkeit.

Zentrale Erkenntnisse der Studie laut der OSB-Alliance:

  • Open Source leistet einen erheblichen Beitrag zum BIP der EU
  • Mehr Open-Source-Beiträge lassen das BIP signifikant wachsen und unterstützen Gründungen von Start-ups
  • Open Source fördert hohe Softwareentwicklungsfähigkeiten und mildert den Fachkräftemangel
  • Der durch Open Source geschaffene Wert übersteigt den Umfang der institutionellen Kapazitäten Europas
  • Open Source Software senkt die Gesamtbetriebskosten auch im öffentlichen Sektor

Resümee und Ausblick: Jetzt die Chance nutzen

Aufgrund der Einblicke, die ich während meiner Recherche inklusive Lektüre zahlreicher Studien erhalten habe, weiß ich, wie wichtig eine europaweite Kollaboration von Akteuren aus Wirtschaft, Zivilgesellschaft und Politik für eine souverän gestaltete Digitalisierung ist. Damit diese gelingen kann, müssen möglichst alle in Deutschland ansässigen Akteure aktiv werden und sich für Open Source stark machen. Während einige wie der Brüssler Think Tank OpenForum Europe mit gutem Beispiel vorangehen, besteht bei anderen dringender Nachholbedarf. Vor allem von staatlicher Seite bedarf es mehr ernsthafter Bemühungen, konkreter Pläne und Maßnahmen, wenn wir in Deutschland und Europa auf eigenen resilienten und souveränen Beinen stehen wollen.

Den Akteuren bleibt dafür jedoch nicht mehr viel Zeit. Univention CEO Peter Ganten betont die Dringlichkeit des Themas in einem Gastkommentar im Handelsblatt:

Wir können uns nicht leisten, dieses Thema, das von seiner Wichtigkeit her mit Sicherheit und Energiewende gleich auf ist, zurückzustellen. Wenn an dieser Stelle gespart wird, entsteht eine noch größere digitale Abhängigkeit, die für Deutschlands Wirtschaft und Demokratie mittelfristig noch gefährlicher ist, als die momentane Abhängigkeit von Energielieferungen.

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Ann-Kathrin Jekel

Ann-Kathrin ist Werkstudentin und unterstützt Univention in der Unternehmenskommunikation. Derzeit studiert sie im Master Kommunikation und Management an der Hochschule Osnabrück.

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