Herr Bouwer, wie viele Schulen und Nutzer*innen betreuen Sie in Bremen mit welchen digitalen Angeboten?
In Bremen gibt es 139 öffentliche Schulen mit rund 48.000 Schüler*innen und 5.000 Lehrkräften. Das Land Bremen setzt bereits seit vielen Jahren UCS@school als zentralen Verzeichnisdienst für alle digitalen Identitäten der Nutzer*innen ein, an den weitere Dienste angebunden sind. So haben in Bremen alle Lehrkräfte und Lernende eine eigene E-Mail-Adresse und wir haben ein „Medien Online System“, in dem wir Filme, Erklärvideos und andere digitale Medien für den Unterricht verfügbar machen, die unter anderem vom Institut für Film und Bild, dem FWU, bereitgestellt werden.
Außerdem haben wir die aus Norwegen stammende Lernmanagement-Lösung itslearning im Einsatz, das digitale Klassenräume bietet und die Bereitstellung von Online-Arbeitsblättern und Aufgaben möglich macht. Durch die Integration der Plattform sofatutor in itslearning, bietet Bremen ein Tool, mit dem Lehrkräfte recht einfach fertige Erklärvideos und Arbeitsblätter zur Verfügung stellen können.
Auch itslearning ist an das Identity Management von UCS@school angebunden, so dass sich alle Nutzer*innen mit ihrem gewohnten Benutzerkonto, welches sie auch für die Anmeldung an den Schul-PCs benutzen, daran anmelden können. Gleichzeitig bietet dieses zentrale Konzept für die senatorische Behörden großen Vorteil, dass wir Nutzer*innen zentral an einer Stelle managen. Wenn jemand z. B. aus der Schule ausscheidet, können wir mit einem Klick den Zugang zu sämtlichen Diensten deaktivieren. Deshalb binden wir jeden neuen Dienst, wenn irgendwie möglich, an das IDM an.
Vor was für technische Herausforderungen hat Sie die Schließung gestellt, Herr Hansen?
Nun, einerseits mussten wir quasi von heute auf morgen für alle systemkritischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Kernverwaltung das Arbeiten aus dem Home Office möglich machen. Wir mussten die VPN-Kapazitäten verzehnfachen, damit die Betroffenen sicher von zu Hause aus auf unser Netzwerk und die benötigten Daten zugreifen konnten. Auch aus Schulen kamen Anfragen nach einer Anbindung via VPN. Strukturell und aus Kapazitätsgründen können wir hier aber lediglich Webmail anbieten.
Außerdem haben wir eine Vervielfachung der Zugriffe auf unsere Mailserver beobachtet, so dass wir kontinuierlich weitere Storage- und System-Kapazitäten dazu gebucht haben. Das hat zum Glück sehr gut funktioniert. Hier hat sich meiner Meinung nach bewährt, dass wir im eigenen Rechenzentrum ausreichend Server-Kapazitäten vorhalten und so nicht auf externe Dienstleister angewiesen sind, die natürlich selber gerade massiv ausgelastet sind.
Wie kommunizieren Sie neue Angebote und Nachrichten an die Lehrkräfte, Schüler*innen und deren Eltern?
Als Segen hat sich erwiesen, dass wir vor einigen Wochen die Nutzung der Dienst-E-Mail-Adressen für Lehrkräfte verpflichtend eingeführt haben. Das hat uns den riesengroßen Vorteil gebracht, dass wirklich jede*r Lehrer*in in Bremen nicht nur über eine offizielle E-Mail-Adresse verfügt, sondern diese auch bereits vor der Krise genutzt hat. Über diese funktioniert die Kommunikation zwischen uns und den Lehrkräften in diesen Krisenzeiten jetzt sehr gut.
Bei der E-Mail-Kommunikation mit den Schüler*innen und deren Eltern läuft sehr viel über die Schulen. So informieren wir den Zentralelternbeirat, der wiederum die Schulelternsprecher der einzelnen Schulen informiert, die die Nachrichten über Klassenlisten an die Eltern und Schüler*innen verteilen. Und wir veröffentlichen natürlich regelmäßig wichtige Infos über unsere Homepage.
Wir haben den weiteren Vorteil, dass auch itslearning über gute Kommunikationsmöglichkeiten verfügt. So haben wir zum Beispiel alle Lehrkräfte in ein eigenes „digitales Klassenzimmer“ eingeladen, in dem sie Materialien und Mitteilungen finden und itslearning hat einen integrierten Messenger, der für die direkte Kommunikation zwischen Lehrkräften und Schülerinnen und Schülern genutzt werden kann. Des Weiteren gibt es auch die Möglichkeit, sogenannte Push-Nachrichten an alle zu versenden, z. B. wenn es technische Probleme gibt. Das hilft natürlich sehr.
Gibt es noch weitere Lösungen, um digitale Angebote zu den Schülern nach Hause zu bringen?
Neben der E-Mail-Kommunikation nutzen wir wie gesagt sehr intensiv itselarning. Das wurde zwar schon vorher in nahezu allen Schulen auf freiwilliger Basis genutzt, aber war noch nicht so flächendeckend im Einsatz wie momentan. Um ganz schnell auch die Lehrkräfte fit zu machen, die damit noch nicht gearbeitet haben, haben wir im LIS am Donnerstag vor den Schulschließungen ganz schnell Schulungen mit einer Einführung in den Umgang mit itslearning organisiert. Außerdem haben wie eine Gruppe von Lehrkräften, die schon länger mit einem gewissen Stundenkontingent Schulen beim Einsatz von itslearning unterstützen. Die haben sich direkt hingesetzt und Erklärvideos produziert, wie man digitale Materialien einstellt oder Lern-Gruppen einrichtet. Diese Filme sind bei den Lehrkräften super angekommen. Wir vom LIS machen außerdem Live-Webinare, in denen wir wichtige Schritte zeigen und erklären, wie man mit Problemen umgeht.
Nach den Schulschließungen sind die Zugriffszahlen auf itslearning geradezu explodiert. Während es vorher durchschnittlich knapp 9.000 unterschiedliche Nutzer*innen waren, sind es nun rund 30.000, die pro Tag darauf zugreifen. Das hat in der ersten Woche nach den Schulschließungen dazu geführt, dass die Server erst einmal in die Knie gegangen sind. Die Verantwortlichen bei itslearning haben aber sehr schnell darauf reagiert und mehr Kapazitäten freigeschaltet, so dass das bereits in Woche zwei reibungslos funktioniert hat. Von unseren Lehrkräften haben wir in den letzten Tagen ganz viel positive Rückmeldung bekommen. Sie sind wirklich sehr froh, dass sie anders als sehr viele andere Lehrer*innen in Deutschland gerade ein Tool haben, mit dem sie ihren Schüler*innen Lernangebote machen können. Nicht zu vergessen der soziale und kommunikative Aspekt, den das integrierte Chat-Tool, das inzwischen rege genutzt wird, bietet.
Außerdem haben wir ganz frisch Nextcloud im Test-Einsatz, über das wir unseren Lehrkräften von Zuhause aus Zugriff auf die Schulserver geben können. Auf diesen läuft ebenfalls UCS, so dass die Nutzer*innen sicher mit ihren Login-Daten darauf und auf die dort abgelegten Dateien zugreifen können. Sehr geholfen hat uns bei der Einrichtung eine sogenannte Cool Solution, in der beschrieben wird, wie man diesen externen Zugriff auf Nextcloud einrichtet.
UCS@school: Automatisches Einbinden von Samba-Freigaben in Nextcloud
In diesem Blogartikel lesen Sie, wie Nextcloud UCS@school-Freigaben von Benutzern bzw. Klassen oder Arbeitsgruppen automatisch bereitstellen kann. Somit stehen Daten, die sonst nur in einem lokalen Schulnetz erreichbar wären, an zentraler Stelle zur Verfügung, was besonders in großen Umgebungen mit zahlreichen Rechnern und Tausenden von Accounts praktisch ist. mehr erfahren
Welche weiteren Maßnahmen planen Sie, wenn die Schulen länger als bis nach Ostern geschlossen bleiben?
Mittelfristig möchten wir eine Telepräsenzlösung anbieten, um einen virtuellen Unterricht zu ermöglichen. Bei dem sollen die Schüler*innen sich zumindest per Audiozuschaltung beteiligen können. Hier testen wir gerade verschiedene Lösungen wie Jitsi oder Big Blue Button und prüfen, welche Lösung einerseits performant genug ist, andererseits den Schutz sensibler Daten sicherstellt.
Haben Sie noch einen besonderen Tipp für Ihre Kollegen bei anderen Schulträgern?
Einerseits ist es wirklich toll, wie viel Engagement von den Lehrkräften gerade kommt, kreativ nach Lösungen zu suchen und diese schnell einzusetzen. Hier müssen wir aber aufpassen, dass das nicht in Aktionismus ausartet, sondern auch in diesen Krisenzeiten „die Form“ gewahrt und Ruhe bewahrt wird. Es ist nicht sinnvoll, dass jede*r jetzt individuell irgendwelche kostenlosen Test-Accounts anlegt und alle möglichen sensiblen Daten in die Welt pusht, wenn sich die Schüler*innen mit ihren wirklichen Namen und privaten E-Mail-Adressen an diesen anmelden, Daten erzeugen und miteinander kommunizieren. Hier dürfen sich die Lehrkräfte nicht von irgendwelchen Angeboten verrückt machen lassen, die gerade täglich in den Lehrerzimmern aufpoppen. Wir können nur raten, auf bestehende Strukturen zurückzugreifen, die sich bewährt haben und die mit Augenmaß eingeführt wurden. Die sollte man jetzt hochskalieren, statt übereilt und wahllos alles mögliche Neue auszuprobieren. Weniger ist hier häufiger mehr, und wenn es nur der Download von Dateien von der Schulhomepage ist. Außerdem hat sich bei uns bewährt, den Schulen ganz konkrete Handlungsempfehlungen zu geben, an denen sie sich orientieren können.
Herr Hansen, Herr Bouwer, ganz vielen Dank, dass Sie sich die Zeit für dieses Gespräch genommen und uns einen Einblick in Ihr Krisen-Management gegeben haben.
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